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Mein Kind will nicht zur Schule – was jetzt?

Wenn man googelt, was geschieht, wenn junge Menschen nicht (mehr) zur Schule gehen wollen, findet man entweder die juristischen Folgen dieser Haltung, das heißt, die Bestrafungen, wie Buß- und Zwangsgelder oder sogar Haft. Oder es werden „Hilfen“ beschrieben, die einzig dem Ziel dienen, dass das Kind wieder die Schule besucht. Häufig wird der Fehler generell bei den jungen Menschen gesehen – sie seien z. B. psychisch beeinträchtigt, haben (natürlich unbegründet) Schulangst oder eine zu enge Bindung an ihre Familie. Es wird weder nach ihren Beweggründen noch danach gefragt, wie man mit ihnen auf respektvolle Art und Weise umgehen soll. Klar ist nur, dass sie – um jeden Preis – wieder zur Schule gehen müssen. Daran sieht man schon, wo der Schwerpunkt der Reaktionen von Ämtern und Behörden bei der Verweigerung des Schulbesuchs durch junge Menschen liegt – deren NEIN zum Schulbesuch wird unter gar keinen Umständen akzeptiert. Damit sind viele mögliche Lösungen von vorn herein blockiert.

Wenn eure Tochter/euer Sohn die Schule verweigert, müsst Ihr als Eltern zuerst eure eigene Position überdenken. Akzeptiert IHR das NEIN eurer Kinder? Wollt ihr sie auf einem Weg der selbstbestimmten und selbstorganisierten Bildung unterstützen? Falls ja, solltet ihr euch mit den möglichen Folgen auseinandersetzen und eure weitere Vorgehensweise ausarbeiten. Dabei sind wir euch gern behilflich.

Warum verweigern Kinder/junge Menschen die Schule/den Schulbesuch?

Viele junge Menschen äußern ein deutliches NEIN zur Schule – oft schon bald nach der Einschulung. Andere äußern sich nicht so klar, entwickeln aber Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und/oder psychische Beschwerden und verlieren nach kurzer Zeit ihre Neugier. Lernen wird mit Arbeit und Langeweile verbunden, die eigene Motivation zur Bildung geht verloren.

Die Gründe für eine Ablehnung des Schulbesuchs können sehr vielfältig sein. Junge Menschen äußern dazu:

„Ich kann nicht dem nachgehen, was ich gerne will.“

„Ich werde nicht ernst genommen.“

„Das Verhalten von Lehrern ist oft unprofessionell.“

„Es gibt ständige Vorschriften.“

„Die Lehrer kommandieren viel rum.“

„Das Lernen in der Schule macht keinen Spaß, ist nicht interessant, ist langweilig.“

„Mir geht es nicht schnell genug.“

„Mir geht es zu schnell.“

„Ich werde ständig geärgert, beschimpft, geschlagen.“

„Nur Noten zählen, nicht das, was ich wirklich kann und verstanden habe.“

„Die Lehrer hören nicht zu, zeigen kein respektvolles Verhalten jungen Menschen gegenüber.“

„Lehrer wollen uns nicht verstehen.“

„Es gibt zu wenig freie Zeit mit Freunden.“

„Ich lerne dort nichts.“

Ist ein Schulbesuch notwendig, um sich zu bilden?

Wissensdurst und der Drang nach Entfaltung sind jedem Menschen angeboren. Äußere Zwänge sind das wirksamste Werkzeug, um Neugier zu zerstören.

Sich zu entwickeln, zu lernen, praktische, akademische und soziale Kompetenzen zu erwerben und soziale Kontakte aufzunehmen, ist jedem Menschen angeboren. Dies lässt sich besonders bei jungen Menschen im „Kleinkindalter“ beobachten. Generell wird jedoch angenommen, ab einem bestimmten Alter sei für die weitere Bildung und die Entwicklung sozialer Kompetenzen eine besondere Struktur, nämlich „Unterricht“ im Rahmen einer Schule, notwendig.

Empirische Informationen bzw. Belege dafür gibt es nicht. Tatsächlich hat die Annahme, Schule sei alternativlos, in der Praxis den Charakter einer selbsterfüllenden Prophezeiung: Indem Schule das Lernen erzwingt, erzeugt sie bei jungen Menschen Widerstände und weitverbreitete Lustlosigkeit. Dies scheint wiederum zu belegen, dass Schule nötig ist, um Bildung zu erzwingen, weil junge Menschen scheinbar von sich aus nichts lernen. Für viele, die an Schulen tätig sind, wirkt diese tradierte Logik einengend und frustrierend.

Bildung ohne institutionalisiertes (schulisches) Lernen sollte ein gleichberechtiger Weg sein!

Die Erfahrungen in anderen westlichen Ländern zeigen, was auch Forschungsergebnisse über informelle Bildung bzw. Bildungsformen ohne Schulbesuch bestätigen: Menschen jeden Alters – also auch Kinder und Jugendliche! – können sich selbstbestimmt und selbstorganisiert umfassend und tiefgehend bilden. Menschen, die (zeitweise oder ganz) ohne Schulbesuch aufwachsen, sind beruflich erfolgreich und erwerben, wenn sie dies wünschen, schulische Abschlüsse. Soziale Kompetenzen und gesellschaftliches Engagement sind nicht beeinträchtigt, wenn keine Schule besucht wird.

Würden diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in Deutschland endlich rezipiert und ernstgenommen, hätte dies drei naheliegende Konsequenzen:

  • Die absolute, ausnahmslose Schulbesuchspflicht in jetziger Form müsste fallen.
  • Wir könnten eine neue, freiere Vorstellung von Bildung entwickeln.
  • Tausenden von jungen Menschen würde ein legaler Ausweg aus ihrer oft verhängnisvollen, belastenden Situation geboten.

Was ist „Freilernen“?

Wer eine Schule besuchen möchte, sollte auf jeden Fall das Recht und die Möglichkeit dazu haben. Das allgemeine Recht auf schulische Bildung ist eine wichtige gesellschaftliche Errungenschaft. Für die meisten Menschen – auch in Parlamenten und Regierungen – ist Bildung aber gleichbedeutend mit dem Besuch einer Schule. Aus dem Recht auf Bildung wird in Deutschland für junge Menschen eine Pflicht zum Schulbesuch.

Viele junge Menschen möchten sich aber aus den verschiedensten Gründen ohne einen Schulbesuch bilden. Diese jungen Menschen, oft „Freilerner“ genannt, geraten in Deutschland wegen der absoluten Schulbesuchspflicht in Konflikt mit Behörden. Eine selbstbestimmte Entscheidung der jungen Menschen für andere Formen der Bildung, also ein NEIN zum Schulbesuch, wird nicht akzeptiert, selbst wenn diese Entscheidung wohlüberlegt und gut begründet ist und auf eigenen Erfahrungen beruht.

Der Begriff „Freilernen“ entstand bereits vor Jahrzehnten als eine Wiedergabe des Wortes „unschooling“ im Deutschen. Er wird heute in vielen unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Wir – die Freilerner-Solidargemeinschaft – bezeichnen als „Freilerner“ Menschen, die sich ohne Bindung an eine Schule oder an eine andere Bildungsinstitution bilden. Für uns tritt jedoch ein entscheidender Aspekt hinzu: Die Entscheidung dazu muss von den jungen Menschen ausgehen und auch die Art und Weise, wie ohne Schule gelernt wird, muss von diesen bestimmt werden. Nur dann bilden sie sich selbstbestimmt und selbstorganisiert. Dies kann wiederum auch die Inanspruchnahme formaler Bildung (z. B. um bestimmte Abschlüsse zu erreichen) oder pädagogisch aufbereiteter Materialien beinhalten – aber eben auf freiwilliger Basis.

Was ist selbstbestimmte und selbstorganisierte Bildung?

Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung und auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit! Wie sieht es aber mit der Selbstbestimmung in Bezug auf Bildung aus?

Selbstbestimmte und selbstorganisierte Bildung, wie wir sie für unsere jungen Menschen erreichen wollen, bedeutet die Möglichkeit, NEIN zum Schulbesuch sagen zu dürfen. Sie ist aber nicht mit dem unbedingten Meiden von Schulen bzw. von formaler Bildung allgemein gleichzusetzen. Entscheidet sich der junge Mensch dafür, eine Schule oder Kurse und andere formale Angebote zu besuchen, sollte dies schlicht ein Akt von Selbstbestimmung sein – wie eben auch die Entscheidung dagegen. Er selbst bestimmt darüber, was er wie, wo und mit wem lernen möchte und er selbst organisiert dieses Lernen. Oft geschieht dies sogar ganz unbewusst, indem er einfach seinen Interessen folgt. Er kann aber auch ganz gezielt nach bestimmten Angeboten suchen und diese nutzen. Diese Angebote zu schaffen, ist die Pflicht der Gesellschaft. Und natürlich kann der junge Mensch bei Bedarf auch bei der Organisation seiner Bildung unterstützt werden – durch die Familie und andere Menschen.

Wir sind der Ansicht, dass jungen Menschen das Recht zusteht, über ihre Bildung selbst zu bestimmen – und wir unterstützen sie, wenn sie dieses Recht einfordern.

Unterstützt die Freilerner-Solidargemeinschaft alle Menschen, die sich ohne Bindung an staatliche Schulen bilden (wollen)?

Heute wird der Begriff „Freilernen“ von vielen Menschen benutzt, um jeweils ihre Form des Lebens und Lernens zu bezeichnen. Sie alle verbindet, dass die jungen Menschen keine staatlichen Schulen besuchen bzw. dies angestrebt wird. Die Beweggründe der Menschen und die Umsetzung eines schulfreien Lebens unterscheiden sich jedoch stark. Die Ansichten von Eltern reichen hierbei von einer allgemeinen Ablehnung von Schulen (ohne weitere Vorstellungen) über die Gründung eigener Lerngruppen/Schulen als Gegenstück zur staatlichen Schule bis hin zur Ablehnung aller staatlichen Einrichtungen bzw. der Leugnung der deutschen Staatlichkeit an sich und – oft damit verbunden – der Schaffung von eigenen, (ideologisch) häufig eng begrenzten, Lebenswelten. Schulfrei sind die betroffenen jungen Menschen, aber dass sie sich selbstbestimmt und selbstorganisiert bilden können, ist oft zu bezweifeln.

Es spricht nichts gegen die Gründung von Lerngruppen oder auch Schulen, so lange sie den jungen Menschen die Freiheit der Entscheidung überlassen. Wenn die Eltern aber Lerngruppen oder Schulen gründen, in denen dann (nur) das angeboten wird, was ihnen selbst als wichtig erscheint, oder wenn ganz bestimmten Idealen nachgestrebt wird, die viele gesellschaftliche Aspekte bewusst ausblenden, wird es schwierig. Das kann eine Idee vom natürlichen Aufwachsen (z. B. ohne moderne Medien) ebenso sein wie das Ausrichten des Lebens an Glaubensbekenntnissen, die bestimmte Denk- und Lebensweisen bevorzugen, andere ganz ablehnen. Dann steht in unseren Augen nicht mehr die selbstbestimmte Bildung junger Menschen im Vordergrund.

Wir verstehen, dass es den Eltern eine gewisse Sicherheit geben kann, ihren Kindern Unterricht anzubieten. Der Entwicklungspsychologe Alan Thomas hat bei seinen Studien immer wieder beobachtet, dass Eltern, nachdem ihre Kinder die Schule verlassen hatten, zunächst die formale Bildung zu Hause zu imitieren versuchten, indem sie ihren Kindern strukturierten Unterricht gaben. Jedoch seien sie sehr schnell dazu übergegangen, den Kindern ihre Bildung zu überlassen, weil sie erlebten, dass das gut funktionierte.

Für uns gehört zu einem schulfreien Leben junger Menschen unbedingt die Selbstbestimmung und Selbstorganisation dazu. Das bedeutet, dass diese sich selbst um ihre Bildung kümmern, natürlich – falls gewünscht – mit familiärer und gesellschaftlicher Unterstützung, und sich für alle Aspekte unserer Gesellschaft – ohne Einschränkung – interessieren können.

Wir unterstützen Familien, in denen beide Voraussetzungen gegeben sind:

– der junge Mensch möchte die Schule nicht (mehr) besuchen,

– er hat die Möglichkeit, sich selbstbestimmt und selbstorganisiert zu bilden.

Sollen staatliche Schulen abgeschafft werden?

In Deutschland gibt es eine facettenreiche Schullandschaft, die vielen jungen Menschen passende Lernmöglichkeiten bietet, die ihren persönlichen Bildungswünschen entspricht oder mit der sie sich zumindest einigermaßen arrangieren können. Dennoch wird das System Schule von vielen immer wieder in Frage gestellt, was unter anderem durch die steigende Anzahl schulkritischer Medienberichterstattung deutlich belegt ist.

Dass die Schule dabei längst nicht über jeden Zweifel erhaben ist, so wie es das Pochen auf die Notwendigkeit des Schulbesuchs suggerieren mag, lässt sich an folgenden Zahlen verdeutlichen:

  • etwa 45.000 Jugendliche verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschlussprüfungen,
  • 7% aller Jungen und 2% aller Mädchen im schulpflichtigen Alter bekamen 2013 Ritalin, Tendenz steigend,
  • 5-15% aller Schüler werden gemobbt, d.h. ein oder mehrere Schüler jeder Klasse, auch hier: Tendenz steigend,
  • 20-40% der Jugendlichen im Jugendarrest sind ausschließlich wegen Schulverweigerung dort,
  • 7,5 Mio Menschen zwischen 18 und 64 Jahren sind (mindestens funktionale) Analphabeten (etwa jeder 7. Erwachsene).

Uns geht es trotz aller Kritik jedoch nicht darum, die Schule gänzlich abzuschaffen, obwohl sie sich sicher stark verändern muss. Vielmehr möchten wir jungen Menschen, die sich selbstbestimmt dagegen entscheiden, darin unterstützen, von der Stigmatisierung „Schulverweigerung“ oder „Schulangst“ befreit zu werden und einen alternativen Bildungsweg außerhalb von Schule beschreiten zu können.

Wir streben aber durchaus die Abschaffung der strengen Schulbesuchspflicht an.

Zudem vertreten wir die Ansicht, dass der Staat/die Gesellschaft in der „Schulpflicht“ ist, entsprechende Bildungsangebote zu schaffen und deren Nutzung allen Menschen möglich zu machen.

Wie ist die rechtliche Lage in Deutschland?

In Deutschland besteht in allen Bundesländern eine Schulbesuchspflicht, die in der Regel 10 bis 12 Jahre dauert. In den meisten Schulgesetzen der Bundesländer sind Ausnahmen von der Schulpflicht vorgesehen, in der Praxis ist es jedoch schwierig bis unmöglich, eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten. Um den Schulzwang durchzusetzen, scheuen die Behörden kaum davor zurück, verschiedene Maßnahmen zu ergreifen, die je nach beteiligten Behörden und Personen sehr unterschiedlich ausfallen können:

  • Gegenüber den jungen Menschen (je nach Alter): Zwangsweise (polizeiliche) Zuführung zur Schule, Sozialstunden, Bußgelder, Jugendarrest, Einweisung in psychiatrische Kliniken.
  • Gegenüber den Eltern: Bußgelder, Zwangsgelder, unter Umständen auch Zwangshaft, Entzug des Sorgerechts.

Die praktisch ausnahmslose Schulbesuchspflicht ist eine sehr weitgehende und umfangreiche Einschränkung der Grundrechte der Betroffenen. Unserer Auffassung nach stellt sie eine Missachtung der Menschenwürde und der Freiheitsrechte der jungen Menschen und damit einen Verstoß gegen die Menschenrechte sowie gegen das Grundgesetz dar.

Wie reagieren Verantwortliche in Schulen, Ämtern und Behörden?

Die Gründe, die zur Entscheidung führen, sich ohne Schule zu bilden, werden meist nicht ernst genommen. Jungen Menschen wird nicht zugetraut, Verantwortung für ihre eigene Bildung zu übernehmen. Die Gründe für die Weigerung werden fast immer beim jungen Menschen selbst oder in seiner Familie gesucht, nicht im System Schule. Das Fernbleiben von der Schule gilt oft als Zeichen einer krankhaften, behandlungsbedürftigen Störung – der jungen Menschen oder auch der Eltern.

Allgemein wird angenommen, dass Schulverweigerung nahezu zwangsläufig nachhaltige negative Konsequenzen für die Zukunft junger Menschen hat. Ein Fernbleiben von der Schule führt – so vermutet man – dazu, dass der junge Mensch nichts lernt, keine Bildung und keinen Schulabschluss erwirbt, keinerlei berufliche Perspektive hat, nur mangelnde Sozialkompetenzen erwirbt, sich sozial isoliert, psychische Auffälligkeiten entwickelt und sogar in die Kriminalität abrutscht.

Die Erfahrungen mit selbstbestimmter und selbstorganisierter Bildung mit Unterstützung durch die Familien bestätigen dies aber in keiner Weise!

Wie werden junge Menschen gehört, die NEIN zur Schule sagen?

In den üblichen Auseinandersetzungen mit Schulen und Behörden bleiben die jungen Menschen selbst in der Regel außen vor. In der Schule wird ihr Nein nicht ernst genommen. Um innerhalb des Systems einen anderen Weg gehen zu dürfen, bleibt in der Regel nur, den jungen Menschen als psychisch oder körperlich krank zu klassifizieren. Wenn Eltern aber das Nein nicht als krankhaft und behandlungsbedürftig betrachten, sondern als eine gesunde Reaktion auf für ihn ungesunde Umstände ansehen, dann gelten sie als Ansprechpartner, weil ihre Töchter und Söhne ja noch minderjährig sind. Sicher ist einerseits nicht jeder junge Mensch in der Lage, gerade in einer solch angespannten Situation für sich selbst zu sprechen, aber es sind auf der anderen Seite auch für denjenigen, der sich dazu in der Lage fühlt, nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten vorgesehen, sich zu äußern.

Kann sich der junge Mensch in den Gesprächen mit Schule, Schulamt und Jugendamt noch persönlich mit einbringen, ist dies vorbei, sobald es vor Gericht geht. Bußgelder werden zumindest bei Kindern unter 14 Jahren nur gegenüber den Eltern verhängt und in den Gerichtsprozessen ist eine Teilnahme der jungen Menschen nicht vorgesehen. Geht es vor das Familiengericht, werden die jungen Menschen zwar angehört und bekommen auch einen Verfahrensbeistand. Es ist ihnen aber nicht möglich, diesen selbst zu wählen.

Eines unserer Anliegen ist, den jungen Menschen in diesen Prozessen mehr Gehör zu verschaffen.

Ist ein Paradigmenwechsel im Umgang mit jungen Menschen in Sicht?

Es gibt eine wachsende Gruppe von Eltern, die einen partnerschaftlichen Umgang mit ihren Töchtern und Söhnen pflegen. Sie nehmen von Anfang an die Bedürfnisse ihrer Kinder ernst und unterstützen diese auch darin, einen selbstbestimmten Bildungsweg zu gehen. Sie gehen davon aus, dass junge Menschen verantwortliches Handeln nur lernen, wenn sie Verantwortung auch übernehmen dürfen.

Auch in unserer Gesellschaft spüren wir einen langsamen Wechsel von paternalistischer Erziehung hin zu einem partnerschaftlichen Miteinander mit jungen Menschen. Allerdings hat dies auf unser Bildungssystem bisher kaum Auswirkungen. Dort besteht immer noch die Vorstellung, junge Menschen müssten belehrt werden und einen großen Teil ihres Alltags in einer Institution verbringen, die die Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft mit Bildung assoziiert. Dabei wird durch ein anderes Menschenbild, gestützt auch durch die Neurowissenschaften und Kleinkindforschung, die bisherige Form von Bildungserwerb immer mehr in Frage gestellt, bleibt doch die notwendige Neugier in der Schule oft bald nach der Einschulung auf der Strecke.

Bildung ist etwas sehr Persönliches. Menschen sind von Anfang an neugierig, sie können nicht anders als zu lernen. Nachhaltiges Lernen funktioniert dabei nur, wenn der Mensch mit Interesse und Begeisterung bei der Sache ist. Dies ist allgemein bekannt, wird doch in Gesprächen unter Erwachsenen oft festgestellt, dass das Schulwissen schon nach kurzer Zeit wieder vergessen wird und man selbst nur das behalten hat, was einen wirklich interessiert oder mit dem man sich aktiv beschäftigt.

Ein gesamtgesellschaftlicher Paradigmenwechsel scheint bisher in Bezug auf Bildung und Schule noch nicht in Sicht. Daher sind alle Menschen, der den Weg der selbstbestimmten und selbstorganisierten Bildung gehen möchten, und die Unterstützer dieses Gedankens heute noch Vorreiter und von großer Bedeutung.

Was kann ich (als junger Mensch) tun, wenn ich nicht mehr in die Schule möchte?

Junge Menschen, die den Weg der selbstbestimmten und selbstorganisierten Bildung gehen wollen, können sich zwecks Beratung gern an uns wenden. Jedoch ist es nicht einfach, ohne die Unterstützung der Familie zu agieren, zumal sich Restriktionen aus dem Nichtschulbesuch vornehmlich gegen die Eltern richten, ab dem 14. Lebensjahr dann zunehmend auch an die jungen Menschen selbst.

Was kommt auf die Eltern zu?

Eltern, die das Nein ihrer Kinder akzeptieren, kommen in eine schwierige Situation. Sie stehen für das Verhalten eines anderen Menschen ein, nicht für etwas, das sie selbst verursacht haben, wie z.B. eine Geschwindigkeitsübertretung beim Autofahren.

Das kann die Situation für sie ziemlich brisant machen, da sie schnell in eine Rechtfertigungsposition hineinrutschen können. Ihnen wird oft vorgeworfen, dass sie nicht erziehungsfähig sind, wenn sie nicht für den ordnungsgemäßen Schulbesuch ihrer Kinder sorgen. Durch diese Entscheidung tragen Eltern eine große Verantwortung, weil sie nicht nur für die Rechte ihrer Kinder aktiv eintreten, sondern diese auch in ihrer Bildung begleiten und damit diese Verantwortung nicht an eine Institution abtreten.

Sie werden sich außerdem mit dem Gedanken anfreunden müssen, in schwierige Auseinandersetzungen mit Schulen, Ämtern, Behörden und Gerichten zu geraten.

Ist der Schulpflicht genüge getan, wenn ich in der Freilerner-Solidargemeinschaft Mitglied werde?

Nein, mit einer Mitgliedschaft in der FSG erfüllt ihr nicht die Schulpflicht. Wir machen keine Fern- oder Onlineschulangebote, können euch jedoch mit Beratung und eventuell finanzieller Unterstützung bei juristischen Auseinandersetzungen zur Seite stehen. Jede Mitgliedschaft hilft uns zudem dabei, unserem Anliegen mehr Gewicht zu verleihen und mehr Familien zu unterstützen, die den Weg der selbstbestimmten und selbstorganisierten Bildung gehen wollen.

Auswandern oder Behördenauseinandersetzung?

Viele Familien, die einen Bildungsweg ohne Schule wählen, wandern ins Ausland ab. Andere tauchen unter, wo die jungen Menschen, die der Staat doch schützen will, jeder gesellschaftlichen Kontrolle entzogen sind. Es gibt aber trotz aller Sanktionen immer mehr mutige junge Menschen und ihre Familien, die sich den Auseinandersetzungen hier in Deutschland stellen und auf das Recht junger Menschen auf selbstbestimmte und selbstorganisierte Bildung pochen. Im Konflikt mit den Behörden nehmen viele der Betroffenen starke emotionale und finanzielle Belastungen auf sich. Hier liegt der Schwerpunkt unserer Beratung und Unterstützung.

Welchen Weg ihr letztlich geht, müsst ihr nach Abwägung euer individuellen Situation immer selbst entscheiden.

Was ist Adultismus?

Die FSG e.V. arbeitet aus einer adultismuskritischen Haltung. Das bedeutet, wir vertreten die Auffassung, dass Menschen nicht aufgrund ihres Alters diskriminiert werden sollten.

Der Begriff Adultismus geht auf den Psychologen Jack Flasher zurück und beruht auf dessen langjährigen Beobachtungen der Verhaltensweisen, mit denen Erwachsene ihre Macht gegenüber Kindern und Jugendlichen missbrauchen. Flasher zieht dabei bereits 1978 Parallelen zwischen Adultismus und anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus. Fast alle der adultistischen Verhaltensweisen, die Flasher nennt, gibt es auch heute noch: Beispielsweise nutzen Erwachsene ihre körperlichen und sprachlichen Fähigkeiten, um ihren Willen durchzusetzen; teilen ihr Wissen nicht ehrlich mit Kindern oder führen sie absichtlich in die Irre; manipulieren sie durch Belohnung und Bestrafung; oder vermitteln ihnen Gefühle der Minderwertigkeit aufgrund ihres Alters. Adultismus kann auch widersprüchliche Formen annehmen, etwa wenn junge Menschen einmal hören: „Das kannst du noch nicht, dazu bist du zu klein“ und an anderer Stelle: „Das solltest du aber können, schließlich bist du schon groß.“

Auf struktureller Ebene zeigt sich Adultismus in den Rechtskonstruktionen „Minderjährige“ und „Volljährige“. Diese suggerieren nicht nur begrifflich, dass Menschen unter 18 Jahren nicht vollständig sind („minder“), sondern sie sprechen nur den „Volljährigen“ die volle rechtliche Handlungsfähigkeit (das Nutzen und Einsetzen von Rechten) zu. Auch die Schulpflicht, die nur für Menschen unterhalb einer bestimmten Altersgrenze (16 oder 18 Jahre) gilt, ist ein adultistisches Konstrukt. Zum einen liegt ihr die Annahme zugrunde, dass junge Menschen erst durch „Erziehung“ und „Bildung“ vervollständigt und zu Bürger*innen gemacht werden müssen. Zum anderen kann die Schulpflicht in letzter Instanz mit Gewalt durchgesetzt werden. Dem möchten wir durch unsere Arbeit entgegenwirken.

Adultismuskritisch zu handeln bedeutet nicht, davon auszugehen, dass junge Menschen keinen Rat und keine Orientierung benötigen (das brauchen wir alle!). Adultismuskritisch mit der Schulpflicht umzugehen, kann z. B. beinhalten: Junge Menschen ehrlich zu informieren, dass es nicht leicht ist, die Schulpflicht zu umgehen und ihnen zu raten, noch andere Wege auszuprobieren, um sie zu erfüllen – und gleichzeitig zuzusagen, dass wir an ihrer Seite sind und unsere Macht als Erwachsene einsetzen werden, um ihre Rechte zu verteidigen, sollten sie sich gegen Schule entscheiden.

Das Naiv-Kollektiv hat ein informatives Video über Adultismus produziert:

(372) Naiv-Kollektiv: Was ist Adultismus? – YouTube